Weihnachten in Mramorak in der alten Heimat
Advents- und Weihnachtszeit in der „Alten Heimat“
(Heinrich Bohland, Emmi Hinkofer-Walter, Gerhard Harich)
Jetzt beginnt wieder die kalte Jahreszeit. Der Winter ist nicht mehr weit und wir freuen uns alle auf die stimmungsvolle und besinnliche Adventszeit.
Abends am Kaminofen sitzen, entspannen und genießen, einen Glühwein mit duftenden Zimtstangen und Nelken trinken und die Gedanken und Erinnerungen über sich ergehen lassen. Wie war es in der Kindheit, wie haben unsere Vorfahren die Vorweihnachtszeit erlebt, was war früher anders als heute.
Die lodernden Flammen im faszinierenden Feuer lassen uns schnell den Alltag vergessen und die Gedanken entführen uns zu den Erzählungen unser Eltern und Großeltern aus der „Alten Heimat“ nach Mramorak, dem evangelischen Dorf im serbischen Banat am Rande der Deliblater Sandwüste.
Auch dort gab es den Winter mit viel Schnee und klirrender Kälte. Die Winter waren lang und sehr streng wie die Eltern, Opa und Oma immer wieder erzählt haben.
Schon im Spätherbst haben unsere tapferen Vorfahren aus der Erlebnisgeneration, die meist Bauern waren, alles winterfest gemacht und auf den ersten Schneefall gewartet. Frau Holle hat sie nie enttäuscht und oft schon Ende Oktober/Anfang November mit einem Schneefall überrascht. Obwohl kaum Berge zu sehen waren, so wurde auch die Tiefebene der Vojvodina eine weiße bezaubernde Landschaft.
Die unendlich weiten Felder waren abgeerntet und für den Winter bestellt. Die Rinder, Schweine und Schafe weilten in ihren Stallungen. Die Pferde warteten auf das Anspannen der bereitgestellten Schlitten für eine Familienausfahrt in die weiße Winterlandschaft von Mramorak und Umgebung.
Aus den Akazienwälder hatten die Männer und Buben das Holz bereitgelegt. Im „Hamber“ stapelten sich die getrockneten Kukuruzkolben mit den Sonnenblumen- und Kukuruzstängel für das Heizen. Wenn es am späten Nachmittag schon dunkelte, begann man mit dem Heizen der gemauerten Zimmeröfen für den Abend und die kalte Nacht. Wenn aus den Schornsteinen dichter Rauch emporstieg, die Krähen mit krächzenden Schrei über die unendlich weiten Felder schwärmten und der erste Schnee fiel, begann die Zeit der Weihnachtswünsche.
Während sich bei den Hausfrauen viel Arbeit dazugesellte, wuchs bei den Kindern die Spannung und Neugierde von Tag zu Tag. Vielleicht war es dann eine Erzählung, eine Geschichte oder ein Märchen, was bei den Jungen und Alten das Fragen und Antworten zu einer begehrten Form besinnlicher Häuslichkeit werden ließ.
Die Frauen holten ihr Spinnrad hervor und verbrachten die kalten Tage mit Garn-, Häckel-, und Näharbeiten. Es gab einiges zu tun. Arbeitskleider wurden geflickt, Trachten und neue Kleider für die Kinder genäht. Die Mädchen und jungen Frauen haben kräftig mitgeholfen und dabei dieses Handwerk gelernt. Und was ganz wichtig war, für das sich annähernde Weihnachtsfest wurden als Geschenke für die Kinder die sogen. „Fetzenbälle“ und „Fetzenpuppen“ zusammengenäht. Für die Tische, Schränke und Ablagen wurden Deckchen gehäkelt, damit es im Haus wohnlicher und behaglicher wurde. Die Männer und Buben zimmerten aus Holz Schlitten für die Kinder, damit diese sich draußen im Schnee vergnügen konnten. Die Frauen strickten eigens einen warmen Schal und Handschuhe, damit die Kinder nicht frieren mussten.
Auch in unserem geliebten Heimatdorf war die Weihnachtszeit ein glanzvolles Winterfest.
Natürlich wurde in der Vorweihnachtszeit auch viel gebacken. Ob Alt oder Jung, man konnte die leckeren „Plätzchen“ kaum erwarten. Recht groß war die Aufregung, wenn dann allerlei „Ausgestochenes“, Honigkuchen oder „Schneekipl“ aus den Backöfen herausgeholt wurde und es im ganzen Haus manchmal bis zum „Gassetirle“ (Gassentor) so gut duftete. Die
wohlriechenden Düfte der leckeren Weihnachtsbäckerei zogen durchs ganze Haus.
Die Schweine und Rinder waren geschlachtet. In den Rauchkammern und der „Speiß“ hingen die „Brot-, Blut- und Leberwirscht“ und der einzigartige Schwartenmagen, eine besondere Delikatesse der Donauschwaben. Daneben verbreiteten die „Schungen“ und Speckseiten den Duft der Wachholderbeeren und von Rosmarin. Das Fleisch war in Salz eingelegt.
Die Vorratskeller waren mit vielen Köstlichkeiten gefüllt, so dass die Familie über den strengen Winter bestens versorgt war. In den Regalen standen Gläser mit „Eingemachtes“ und in den Krautfässer warteten die „Sarmenblätter“ auf ihren Verzehr.
Bei uns zuhause war es am Neujahrstag Tradition, dass die Mutter die ganze Familie immer zum „Sarmenessen“ eingeladen hatte. Noch heute freuen sich unsere Kinder und Enkelkinder auf diesen Tag.
In dieser Vorweihnachtszeit wurde in allen Häusern oft, viel und gerne vom „Christkindl“, das alles sieht und hört, vom „Pelznickl“, der alle Kinder kennt und weiß was sie alles angestellt haben, gesprochen.
Den Nikolaus und den Knecht Ruprecht gab es in der „Alten Heimat“ in Mramorak so nicht. Die Adventszeit wurde beim sonntäglichen Gottesdienst gefeiert. Der Pfarrer freute sich stets über ein volles Gotteshaus. Auch zuhause wurden in den Fenstern angezündete Kerzen aufgestellt, die für die besinnliche Adventszeit leuchteten.
Je näher Weihnachten rückte, musste natürlich auch ein Weihnachtsbaum in der warmen Stube aufgestellt werden. Brachte der Vater „vum Sand“ auch noch ein immergrünes Bäumchen voll duftender Blaubeeren mit nach Hause, kannte die Vorfreunde kaum noch Grenzen. Wachholder gab es im bepflanzten Waldgebiet genug. Während die Kieferbäume nur für das Kirchweihfest dort geschlagen werden durften war es zum Weihnachtsfest erlaubt, als Ersatz für die Tanne, den Wachholder als „Christbaum“ zu schlagen.
Das Weihnachtsfest kam immer näher, bei den Kindern wuchs die Spannung und die Neugierde schon Tage zuvor. Die leckeren Bratäpfel auf dem Backofen gaben einen Hinweis auf das bevorstehende Weihnachtsfest. Plötzlich war ein Zimmer verschlossen. Ein Blick durchs Schlüsselloch ließ nur einen winzigen Ausschnitt vom „Christbaum“ mit allerlei „Glitzersach“ erkennen. Um aber alle Kinderwünsche erfüllen zu können, hätte auch ein „Goldesel“ kaum gereicht.
Wenn die Kinder nun abends im Bett brav und andächtig gebetet haben, dachte man auch ans Christkind. Die Freude war sehr groß und die Kinder konnten den Heiligen Abend kaum erwarten. Aber auch tagsüber kam in der Adventszeit immer wieder die Kinderfrage: „Soll ich beten?“ auf. Gemeint war eigentlich dabei der Spruch, der am Heiligen Abend aufgesagt wurde:
„Christkind komm, mach mich fromm, dass ich zu dir in Himmel nei komm!
Christkindche zart, schun lang hab ich uf duch g`wart;ynt sollscht-m`Äpl un Nuß-ß bescheer-r, dass ich mei Vat-t un Mut-t kann ehr-r!“
Früher war es in Mramorak Brauch, dass das „Christkindl“ und der „Pelznickl“ mit einem Pferdeschlitten am Dorfplatz vorgefahren und von den Bewohnern freudig empfangen worden sind. Dieses Ritual sollen nach Erzählungen die heutigen serbischen Einwohner von den Donauschwaben übernommen haben und die ganze Bevölkerung Mramoraks wartet auf dem Dorfplatz ganz gespannt auf das „Christkindl“ und sein Gefolge.
Später, wenn es zuhause draußen klingelte und durch die Tür das ganz in weiß gekleidete „Christkindl“ mit seinem „Geschenk-Kerbch“ (Geschenkkorb), der großen Rute und dem sehr gefürchteten „Pelznickl“, der im furchterregenden „Bunda“ (Pelzmantel) einer umgestülpten „Pelzkapp“ und einem großen Sack „fä“ die bösi kind-d nei steck-k (für die bösen Kinder hineinstecken) und seiner langen Kette rasselnd erschien, sollte zuerst gebetet werden. Dies geschah fast immer und überall mit der größten Aufregung mit einem Heulen und einem Zähneklappern je nach Temperament, war dies stotternd oder herzhaft. Mit gefalteten Kinderhänden wurde auf die Frage vom Christkind: „Kannst du auch beten?“, das Gelernte aufgesagt.
Das Christkindl klingelte, der Pelznickl klirrte mit seiner Kette und dabei fragten beide nach begangenen Ungezogenheiten. Sie belehrten die Kinder, dass man immer brav sein muss und zu folgen hat. Die so beschworenen, verkrampften Kinderherzen lösten sich aber schnell, wenn die unvermeintliche Frage „Willscht du a nimi schlimm sei, un willscht du jetzt a im-m folj` un brav sei?“ gestellt wurde und dann mit aufatmender Zustimmung beantwortet war. Es sei denn, dem Pelznickl fiel dann im letzten Augenblick noch ein, dass er einen der schlimmen Buben doch noch in den Sack stecken und mitnehmen musste. Dann dauerte alles länger. Als Höhepunkt und Erlösung vor dem „himmlisch-sch Schreck“ folgte nach diesen dramatischen Szenen nun die Bescherung der sehnsüchtig erwartenden Geschenke, wobei auch Äpfel, Nüsse, Feigen und Süßigkeiten verteilt oder ausgeschüttet wurden.
Die Kinder erfreuten sich an den jährlich wiederholenden Geschenken wie dem „Fetzenball“ für die Buben und den „Fetzenpuppen“ für die Mädchen. Als Überraschung gab es oft noch eine von der Mutter oder Oma selbstgenähte Hose oder ein Kleid. Die Kinder waren glücklich und zufrieden.
Die beiden „Himmelsboten“ wurden nun mit einem Gedicht oder Lied freudig verabschiedet. Das Christkind wies auf dem meist im „Extrazimmer“ aufgestellten „Christboom“ hin, ehe es verschwand. Wenn dann die Mutter am geschmückten Bäumchen die Weihnachtskerzen entzündete und drumherum alle im hellen Glanz der Lichter ein Lied sangen, war der Hausfrieden hergestellt und die Weihnacht wirkte oft wie ein Wunder.
Am ersten Weihnachtstag gingen die Kinder zu Tanten und Paten das „Christkindchesach“ abholen. Da nahm man am besten ein größeres Körbchen mit.
Selbstverständlich gab es am Heiligen Abend auch ein Festessen, dass die Frauen vorbereitet haben. In vielen Häusern wurde dafür extra eine Gans geschlachtet und gebraten.
In manchen Jahren meinte es der Petrus auch mit den gläubigen Mramorakern gut und schickte glitzernde Schneeflocken auf das evangelische Dorf an der Sandwüste im serbischen Banat. Die Freude war groß und die Kinder tollten sich im Schnee. Die „weiße Pracht“ war faszinierend und ließ die Kinderherzen höherschlagen. Im Winter konnten Schneemänner gebaut werden und die Familien fuhren mit Pferd und Schlitten in den „Sand“.
Auch der Kirchgang gehörte zur Tradition. Den Heiligen Abend feierte die Gemeinde in der vollbesetzten Kirche, nachdem das Vieh versorgt und die Öfen gut eingeheizt waren. Jedes Jahr stand rechts vom Altar ein großer, echter Tannenbaum, reich geschmückt und mit vielen Kerzen. Wenn nach der Weihnachtsbotschaft vom Chor der Kirche der Lehrer die Orgel erklingen und seine Schüler mit heller Stimme mit ergreifender Musikbegleitung für die Gemeinde das Lied „Süßer die Glocken nie klingen……..“ gesungen haben, da lauschte in dem dichtbesetzenden Kirchenraum die ganze Gemeinde andächtig still. Und es schien, als sei mit innerer Freude der Friede in den Herzen gefunden worden. Die Augen spiegelten den Glanz und die Herzen nahmen ihn mit nach Hause.
Dieser Frieden wurde im Jahr 1944 mit dem Ende des 2.Weltkrieges arg gestört. Mit dem Überfall und der Zwangsenteignung durch Titos Partisanen brach großes Leid, Not und Elend über die Donauschwaben in Mramorak herein und das Weihnachtsfest rückte für viele Jahre in weite Ferne. Erst Anfang der 50iger Jahre konnte nach der Flucht und Vertreibung in der „Neuen Heimat“ in Deutschland oder anderen Orten auf der Welt wieder Weihnachten in der gewohnten Art und Weise gefeiert werden.
Ein kleiner üppiger Tannenbaum, oft als Geschenk, wurde aufgestellt und mit Watte geschmückt. Meistens flimmerten nur wenige Kerzen. Von meinen Großeltern weiß ich, dass als Baumschmuck oft Tannenzapfen aufgehängt wurden. Das Weihnachtsessen war in den Anfangsjahren auch recht dürftig. Oft erfreute man sich an den duftenden und leckeren Bratäpfeln, die auf dem kleinen Backofen bruzzelten.
Anmerkung: Erst im Verlauf der späteren Jahre durften auch die vertriebenen Mramoraker mit ihren Familien das besinnliche frohe Weihnachtsfest so feiern wie früher in der „Alten Heimat“.
Von ganzem Herzen wünschen wir euch allen FROHE GESEGNETE WEIHNACHTEN UND FÜR DAS NEUE JAHR ALLES GUTE!
Ihre Vorstandschaft der HOG Mramorak (Dezember 2022)
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