Schlachtfest
in der „Neuen Heimat“ Gerhard Harich aus Spaichingen
Meine
Eltern, Matthias Harich, geb. 1929 in Mramorak/Banat, Im
Rahmen der Familienzusammenführung sind sie im August 1954
mittellos zur Großfamilie Hittinger in das kleine schwäbische
Dorf Denkingen im Landkreis Tuttlingen in Baden-Württemberg
gekommen. Durch Fleiß, Arbeit, und unbändigem Willen gelang es ihnen schon nach kurzer Zeit in den Jahren1959 und 1960 ein Eigenheim zu erstellen. Mit einem Spaten in der Hand haben mein Vater und die Onkels die Baugrube von Hand ausgegraben. Selbstverständlich durfte da hinter dem Haus ein Stall für die Schweine- und Hühnerzucht nicht fehlen. Bei den Donauschwaben war dies fast schon Pflicht. Wollte man doch die Kultur, die Tradition, und das Brauchtum auch in der Neuen Heimat pflegen. So war es selbstverständlich, das traditionelle Schlachtfest auch in der Neuen Heimat gebührend zu feiern. Voraussetzung
hierfür war natürlich ein gut gefüttertes
Schwein. Mein „Tati“ (Vater) hat mich schon in jungen Jahren mit dieser Tradition vertraut gemacht. So wurden wir von Kindesbeinen an zu Arbeit und Fleiß erzogen. Es gab viele Handgriffe, die von uns Kindern gemacht werden konnten, wodurch die Eltern entlastet wurden. So
konnte ich den Schlachttag kaum erwarten. Meine „Mutti“
(Mutter) hatte mir eigens eine Schlachtschürze
geschneidert. Die
Eltern haben am Tag vor dem Schlachtfest alles sorgfältig
bereitgelegt und hergerichtet. Die Waschküche im Keller wurde in
eine Schlachtküche verwandelt. Der Waschkessel wurde sorgfältig
für das Kochen des Kesselfleischs und der Würste
ausgewaschen. An der Teppichstange, eine Halterung für die Kinderschaukel, war alles für das Aufhängen des Schweins hergerichtet. Der Fleischbeschauer war bestellt. An alles wurde gedacht, nichts wurde vergessen. Mein „Tati“ hatte mir oft von den Schlachtfesten in der „Alten Heimat“ erzählt. Vor lauter Aufregung bin ich lange nicht eingeschlafen. Ich
konnte das Morgengrauen kaum erwarten. Mein erstes Schlachtfest stand
bevor und ich durfte dabei sein und mithelfen. Früh morgens beim
Aufwachen hörte ich schon die Stimmen der Schlachter und der
Gehilfen. Der Bruder meiner „Mutti“, Martin-Onkel, und mein „Tati“ sind in der „Alten Heimat“ in eine Lehre gegangen um den Beruf eines Fleischers zu erlernen. Leider hat der Krieg sie am erfolgreichen Abschluss gehindert. Martin-Onkel lernte in Bavaniste und mein „Tati“ in Mramorak beim Fleischhauer Bingel Johann, dem Schwiegersohn von Harich Philipp („Harich vom Eck“), dem Onkel meines Vaters. Mein Opa, Harich Christian („Harich am Eck“), ist dessen Bruder. Die Metzgersfrau ist die allseits bekannte „Scheck-Lisl“, die Tochter von Philipp Harich. Das Stechen, das Ausbluten, das Abbrühen und das Abrasieren der Schweinsborsten durfte ich von innen im Haus durch das Küchenfenster beobachten. Vater meinte, dass es draußen in unmittelbare Nähe zu gefährlich sei. Bei einem missglückten Messerschnitt wurden die Schweine oft wieder lebendig und sind wild im Hof herumgerannt.
Alle weiteren Schritte durfte ich hautnah miterleben. Natürlich hatte ich viele Fragen, die Martin-Onkel und mein „Tati“ für mich gut verständlich erklärt haben. In diesen Momenten wollte ich ein Metzger werden. Beim Auswaschen und Reinigen der Därme durfte ich mit Hand anlegen, schließlich wusste ich doch, dass wir die Därme zum Füllen der so begehrten „Brotwurscht“ brauchten. Die Dick- und Dünndärme für die „Wurschthäute“ mussten mehrmals gewaschen werden. Da hieß es immer wieder Wasser nachschütten, das in Eimern aus dem Keller geholt wurde. Alles musste mit großer Reinlichkeit zubereitet werden, denn nur so war die Gewähr gegeben, dass der Vorrat nicht verdarb. Also eine wichtige Aufgabe, und die durfte ich kleiner Kerl vornehmen. Zu meiner Beruhigung, mein „Tati“ hat alles nachkontrolliert. Zwischenzeitlich hatten Martin-Onkel und mein „Tati“ das Schwein zerlegt und in die Schlachtküche getragen. Jeder Handgriff saß. Gleich
darauf ist auch der Fleischbeschauer eingetroffen. Sein erstes
Handeln war das Schnapstrinken. Danach schaute er sich das Fleisch an
und bescheinigte durch einen blauen Stempelaufdruck auf die
Schweinshälften die Genießbarkeit. Ich
wartete geduldig auf meinen großen Auftritt, das Herstellen der
doch so geliebten „Brotwurscht“. Durfte ich doch mit
einer Nadel vorne an der Wurstspritze laufend in den Darm stechen,
damit sich keine Blasen bilden und die Wurst so je nach Darm immer
länger wurde. Hatten sich Blasen gebildet, musste der Darm
abgedreht werden und es gab nur kleine Würste, was nicht so
gewünscht war. Fast jeder Donauschwabe hatte im Keller eine „Selchkammer“ (Räucherkammer), in der die Leckereien wie die Würste, der Schwartenmagen, der Speck, sowie die „Schunge“ (Schinken), fachmännisch angeräuchert wurden. Nach dem Anräuchern wurden sie im Keller zum Trocknen aufgehängt. Die Donauschwaben bezeichnen es als „Abhänge“ (Abhängen). Mein „Tati“ meinte danach oft, ob wir Mäuse im Keller hätten, da die „Brotwirscht“ immer kürzen werden. Der angenehme und verlockende Geruch führte uns Kinder oft in den Keller in die Vorratskammer, um die so geliebte „Wurscht“ heimlich zu probieren. Das Quellfleisch wurde für die Leberwürste vorbereitet, der Schwartenmagen eingefüllt und sachte gepresst. Eine Herausforderung war das Abkochen der Leber- und der Blutwurst sowie des einzigartigen donauschwäbischen Schwartenmagens im großen Kessel. Die Würste durften nicht platzen. Dies war eine nicht ganz leichte Aufgabe, wie ich erfahren habe. Auch das Herstellen der „Sulz“ (Eisbein), der in Sülze eingelegte Schweinefüße, der Schweinsohren usw. war eine Spezialität. Ein weiterer Leckerbissen war für uns Kinder das gekochte „Schwänzle“, und das abgeschöpfte Fett der Würste, das mit Brot getränkt wurde. Eine Gaumenfreude war auch das Innere der Markknochen auf einem Brot, gewürzt mit Salz und Pfeffer. Das Fleisch, die zwei großen Speckseiten, und die vier ganzen „Schunge“ (Schinken) wurden zurechtgeschnitten, kräftig eingesalzen, mit viel Knoblauch eingerieben und in ein „Surfass“ (Salzfass) eingelegt. Das „Schmer“ (Fett in der Bauchhöhle, nahe der Rippen) wurde herausgetrennt. Das Schmalz hat man ausgelassen und die „Grammeln“ (feste Rückstände vom Schweinefett) in Würfel geschnitten. Ich bin aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen. So viele Erfahrungen durfte ich machen, die ich so nicht kannte. Es war für mich schon faszinierend anzuschauen, wie mein Onkel und mein „Tati“ gekonnt mit dem scharfen Messer umgegangen sind. In
der Zwischenzeit hatten meine „Mutti“ und die Tanten, die
fleißig in der Küche mitgeholfen haben, verschiedene
Gerichte mit leckerer Kesselsuppe, gebratener Leber, frische
„Brotwirscht“, Kesselfleisch und verschiedene
Fleischgerichte zum Verzehr hergerichtet. Alle
Mühe des Tages war vergessen und man konnte die ganzen
Köstlichkeiten genießen. Es war keine Seltenheit, dass die
Metzger und Fleischer mit den Helfern und Frauen, die alle ihre
Schürzen noch umgebunden hatten, bis spät in die Nacht
hinein am großen Tisch saßen, gesungen und gefeiert
haben. Am Abend gesellten sich noch die Nachbarn, Freunde, Bekannte,
und die ganze Verwandtschaft hinzu. Wir Kinder waren mittendrin, so
lange unsere Äuglein nicht zugefallen sind. Leider
wurden die traditionellen Schlachtfeste im Lauf der Jahre immer
weniger. Das Schweinehalten hatte sich nicht mehr rentiert. Aus
dem Stall wurde ein Abstell- und Lagerraum. Später diente er als
Spiel- und Sportzimmer für uns Kinder.
Mramoraker
Rezepte: Grammelpogatschen Schmerkipferl
|